Dies domini – Zweiter Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr C
Es sind verwirrte Zeiten, in denen wir leben. Die Gesellschaft irrt sich durch die Corona-Pandemie voran, während einige Schreihälse meinen, die Weisheit spazierengehend gepachtet zu haben. Das pandemische Schlamassel wird man so sicher nicht ordnen können. Das schein den verirrten Flaneuren aber herzlich egal zu sein. Sie wollen einfach Recht haben. Weil Argumente diese Selbstillusion zu stören im Stande sind, muss man halt lautstark rufen, Kindern gleich, die im dunklen Wald das Raunen des Unterholzes und die mit ihm aufkommenden Angst mit albernem Gekicher und Gebrüll übertönen müssen. Wer sich auf diese Weise selbst zum Maßstab des Rechtes hat, weiß nicht natürlich befugt, alle anderen, die nicht seinem Weg folgen, des Unrechtes zu zeihen. So sich selbst zum Richter erhebend lässt es sich fein urteilen gemäß dem Grundgesetz der Ignoranten, das aus exakt zwei Paragraphen besteht:
§1 Ich habe immer Recht.
§2 Sollte das einmal erwiesenermaßen nicht der Fall sein, tritt automatisch § 1 in Kraft.
Die Infallibilität ist bequem und macht unangreifbar. Sie immunisiert gegen jede Kritik. Wo aber Kritik gemieden wird, fehlt jener Diskurs, der ein Fortschreiten – und sei es ein Voranirren – zur und in der Wahrheit unmöglich macht. Unfehlbarkeit ist und bleibt eine gefährliche Eigenschaft, der man sich nur mit höchstem Bedacht bedienen sollte. Was, wenn man auch im Irrtum unfehlbar ist?
Die Kirche ist immer auch ein Kind ihrer Zeit. Das kann nicht wirklich anders sein, weil doch der Geist Gottes durch Raum und Zeit weht und so immer auch der Geist der Zeit ist. Infantil infallibilitätsverliebte Jünger und Jüngerinnen übersehen das gerne, weil doch der Zeitgeist oft direkt ins Gesicht weht. So in Frage gestellt müssen die, die auch in der Kirche immer im Recht zu sein glauben, natürlich flugs §2 des Grundgesetztes der Ignoranten bemühen und den Zeitgeist anklagen. Selten reicht in die innere Reife so weit, um zu erkennen, mit wem sie sich da möglicherweise anlegen. So mögen sie zwar im Glauben leben, Recht zu haben, verfehlen dabei aber immer wieder eine gute Gelegenheit, tatsächlich Recht zu schaffen.
Tatsächlich werden die gegenwärtigen Zeitgenossen nicht nur Zeugen des gesellschaftlichen Schlamassels, sondern auch des ekklesialen Tohuwabohus. Alle wollen dort im Recht sein. Jede und jeder ist darin natürlich unfehlbar. Jede und jeder weiß, was doch eigentlich Wahrheit ist – und bannt deshalb die jeweils andere Partei: Der Bischof seine Kritiker, die Kritiker den Bischof, Bischöfe untereinander und traditionsorientierte Christen die reformfreudigeren und umgekehrt. Es wird viel geredet, ohne miteinander zu reden. Es wird viel gesprochen, ohne zu diskutieren. So gibt es nicht nur keinen Fortschritt des Denkens, schon gar nicht irrt man voran. Viel schlimmer noch: Eine Ehe, in der die Eheleute das Heil immer nur vom jeweils anderen erwarten, ist am Ende. Eine Ehe, in der es nur noch ums Recht habe, geht, statt dem jeweils anderen Recht zu verschaffen, ist gescheitert. Wo die Energie nur noch dafür verschwendet wird, den eigenen Status quo zu festigen und zu bewehren, fehlt die Kraft zum Blütentragen. Ähnlich muss es Jesaja ergangen sein, als er auf den Zustand Israels zu seiner Zeit sah. Verwüstet und verlassen, erloschen und verhärmt ist jenes Volk geworden, in sich verkrümmt – alles, nur keine leuchtende Fackel für die Völker mehr. Wo viele immer nur Recht haben wollten, blieb das Recht selbst auf der Strecke – mit verheerenden Konsequenzen. Sie erste Lesung vom zweiten Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres C schildert die Reaktion des Propheten:
Um Zions willen werde ich nicht schweigen, um Jerusalems willen nicht still sein, bis hervorbricht wie ein helles Licht seine Gerechtigkeit und sein Heil wie eine brennende Fackel. Jesaja 62,1
Entscheidend ist, wie es weitergeht. Die geistigen Irrlichter der Gegenwart in Kirche und Gesellschaft würden jetzt sofort Anklagen formulieren, warum es aus ihrer Sicht so ist, wie es ist. Das ist oft eitel, rückwärtsgewandt und vor allem ohne jedes Ansinnen nach lösungsorientiertem Fortschritt, letztlich aber einfach und bequem, weil die Änderung immer nur von den anderen erwartet bin. Dabei ist das „Ich will so bleiben, wie ich bin“ ein Werbespruch einer Diätmarke, bei deren Genuss man doch gerade kein Wachstum erwartet …
Bei Jesaja aber ist es anders. Er klagt nicht an und verteilt selbstvergessen Verantwortlichkeiten an andere; er richtet eine Vision auf:
Dann sehen die Nationen deine Gerechtigkeit und alle Könige deine Herrlichkeit. Man ruft dich mit einem neuen Namen, den der Mund des Herrn für dich bestimmt. Du wirst zu einer prächtigen Krone in der Hand des Herrn, zu einem königlichen Kopfschmuck in der Hand deines Gottes. Nicht länger nennt man dich „Verlassene“ und dein Land nicht mehr „Verwüstung“, sondern du wirst heißen: „Ich habe Gefallen an dir“ und dein Land wird „Vermählte“ genannt. Denn der Herr hat an dir Gefallen und dein Land wird vermählt. Jesaja 62,2-4
Jesajas Vision richtet den Blick nach vorne. Wer nach vorne schaut, muss sich aufrichten. Wo Niedertracht nur der Verwüstung dient, ermöglicht Aufrichtigkeit ein Fortschreiten – auch wenn es bisweilen ein Voranirren sein mag. Dem Propheten geht es eben nicht bloß ums Recht haben, sondern um eine rechtschaffene Zukunft …
Dazu muss man in der Lage sein, den Blick zu wechseln – von sich weg auf die anderen. Will man den Ruhm nur für sich, oder kann man auch gönnen? Recht kann nur geschaffen werden, wenn man aufhört, auf dem eigenen – allzu oft auch nur vermeintlichen – Recht zu beharren. Das Evangelium vom zweiten Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres C gibt hier ein gutes Beispiel. Es berichtet von der Hochzeit zu Kana (Johannes 2,1-11) und dem ersten Zeichen Jesu, durch dessen Wort Wasser zu Wein zu werden scheint. Es berichtet davon, dass seine Mutter ihn zu einer rettenden Tat auffordert und sich doch zuerst zurechtweisen lassen muss. Es berichtet von ihrer Beharrlichkeit, die in den guten Rat mündet:
Was er euch sagt, das tut. Johannes 2,5
und von dem Gesinnungswandel Jesu, doch nicht auf seinem ursprünglichen Standpunkt zu beharren, sondern selbst zu handeln. So geschieht das erste große Zeichen Jesu. Es heißt, dass aus Wasser Wein wurde. Nirgends wird erklärt, wie es dazu kam. Raum für Spekulationen und Rechthabereien aller Art. Dabei überstrahlt das vermeintliche Wunder wieder einmal die hörens- und lesenswerten Details, die die Evangelisten berichten – sicher nicht ohne Grund. Der Ruhm des Zeichens wird nämlich nicht von Jesus beansprucht. Nicht er lässt sich feiern, wohl aber lässt er den rufen, der für das Festmahl verantwortlich ist, schließlich auch den Bräutigam. Da stehen sie nun: Jesus, der – wie man ihn heute nennen würde – Caterer und der Bräutigam. Um sie herum die Diener und sicher auch die Mutter Jesu, die aus etwas Abstand die Szenerie beobachten. Und dann passiert es. Jesus ergreift das Wort:
Jeder setzt zuerst den guten Wein vor und erst, wenn die Gäste zu viel getrunken haben, den weniger guten. Du jedoch hast den guten Wein bis jetzt aufbewahrt. Johannes 2,10
Jesus gibt dem Bräutigam die Ehre. Er lobt ihn für den guten Wein. Er verschafft dem Bräutigam das Recht, ein guter Gastgeber zu sein. Was für ein Zeichen! Das ist das Zeichen, aus dem die Jüngerinnen und Jünger lernen sollen. Sie werden daran scheitern, aus Wasser Wein zu machen, aber sie könnten es schaffen, wie Jesus anderen Recht zu verschaffen und auf das eigene Rechthaben zu verzichten – um des Festes des Lebens willen. Das, ja das wäre ein Wunder, wenn das gelänge. So haben wir jetzt auch, aber nicht nur in der Kirche die Wahl: Recht haben oder Recht schaffen. Wenn es stimmt, dass viele der Kirche den Rücken kehren und diese zur Verlassenen wird, weil niemand sich in einem so zerstrittenen Haufen wohl fühlen kann, dann wäre es Zeit für ein Umdenken. Verwüstung oder Blütezeit. Recht haben oder Recht schaffen. Es könnte ein Fest werden, wenn wir aus dem Beispiel Jesu lernten …
Dr. Werner Kleine
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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